Warum ich begann, Hijab zu tragen || Why I started to wear hijab
Ich begann vor zehn Jahren Hijab zu tragen. Damals war ich gerade von meinem Heimatland Deutschland nach
[völlig egal, welches Land in Südosteuropa] gezogen, wo ich für eine lokale NGO im Bereich politische Bildung, interkultureller Austausch und Jugendarbeit tätig war. Ich war noch nicht lange Muslim und da stand ich jetzt, in einem mehrheitlich christlich-orthodoxen Land, in dem kaum Muslime lebten (ich kannte in meiner Stadt keinen einzigen Muslim), wo negative Vorurteile gegenüber Muslimen weit verbreitet waren. Kaum jemand, den ich kannte, wusste, dass ich mich als Muslim bezeichnete. Ich betete, fastete und versuchte, - wie diese Religion es vorschreibt - die beste Person zu sein, die ich sein konnte ... aber wenn ich nicht sagte, dass ich Muslimin war, kam keiner drauf. Und selbst wenn ich jemandem davon erzählte, wurde dieser Teil von mir nicht immer ganz ernst genommen. Ich erinnere mich noch, wie eine Freundin, der ich ezählte hatte, warum ich mich entschieden hatte, Muslimin zu sein, etwas später zu jemandem anderen meinte, "Philippa
interessiert sich ja für den Islam."
I started to wear hijab 10 years ago. At that time, I had just moved from my native Germany to [does not matter which country in South Eastern Europe] where I worked for a local NGO focusing on civic education, intercultural exchange and youth work. I had not been a Muslim for very long and now I was there, in this majority Christian Orthodox country, where hardly any Muslims lived (I did not know a single Muslim in my city), where negative stereotypes about Muslims were rife. Hardly anyone knew I considered myself a Muslim. I prayed, fasted and tried - as this religion teaches it - to be the best person I could ... but unless I told people I was a Muslim, no-one would know. Even if I told someone, this part of me was not always taken seriously. I still remember how I had explained to a friend why I had chosen to be a Muslim just to hear her say to someone else a bit later that "Philippa is interested in Islam."
Ich zögerte oft, den Menschen in meinem Umfeld davon zu erzählen. Meine Kollegen und meine beste Freundin wussten Bescheid, aber mit fast jedem anderen fand ich mich immer wieder in der selben Situation wieder: sollten ich es ihnen sagen - oder nicht? Sollte ich einfach nur sagen "ich bin Vegetarierin" oder erklären, warum ich wirklich das Schinkensandwich nicht essen wollte? "Ich habe heute wirklich nicht so viel Hunger, aber danke" oder: "Es ist Ramadan und ich faste"? "Nee, mir ist kein bisschen heiß in dem Langarmshirt, das ich hier im August trage" oder: "Ich bin Muslimin und versuche, mich etwas bedeckender zu bekleiden"?
I often hesitated to tell the people around me. My colleagues and my best friend knew but with almost everyone else I found myself in the same situation, wondering whether to I tell them - or not? Should I just say "I'm a vegetarian" or explain why I really would not eat the ham sandwich? "I'm really not that hungry today, but thanks" or: "It's Ramadan and I'm fasting"? "No, I'm not hot at all wearing long sleeves in August" or: "I'm a Muslim and trying to dress modestly"?
Ich blicke zurück auf mein Leben bis dahin, auf alles, was ich erreicht hatte, all die Orte, die ich bereist hatte, wie ich bis vor Kurzem noch in Deutschland gelebt hatte und mich jetzt plötzlich mitten auf dem Balkan wiederfand. Verrückt - wie die Zeit verflogen war. Und dann, irgendwann in einem dieser Momente, realisierte ich, dass das selbe auf die Zukunft zutraf. Genauso wie die Zeit in den letzten Jahren verflogen war, würde sie auch in Zukunft verfliegen, Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr ... bis eines Tages alles, was wir kannten, vorüber sein würde. Wir würden beurteilt werden. War ich bereit?
I looked back at my life, at everything I had achieved, all the places I had travelled to, how I had lived in Germany until recently and now lived on the Balkans. Crazy - how time had flown by. And then, at some point, I realised that the same was true for the future. Just as time had flown by in the last years, it would also pass by in the future, day by day, month by month, year by year ... until one day everything we knew would be over. We would be judged. Was I ready?
Ich las eine Biographie des Propheten, eine wunderschöne Übersetzung eines
Buches von Fethullah Gülen, und zum ersten Mal, seit ich Muslimin geworden war, begann ich Liebe für diese Person, die der Prophet gewesen sein muss, zu empfinden. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich war zu dem Punkt gekommen, Gott zu lieben, ja - aber in der ersten Zeit meines Muslimseins sah ich den Propheten nicht auch auf diese Weise. Wer war er? Ein Mann, ein Araber, der vor hunderten von Jahren gelebt hatte - sicherlich jemand, der für diese Religion außerordentlich wichtig war - aber jemand, den ich liebte? Nein. Dieses Buch änderte die Art und Weise, wie ich den Propheten sah. Plätzlich konnte ich ihn und seine Gefährten förmlich vor mir sehen, wie sie durch die Straßen Medinas liefen - und fragte mich: Was, wenn ich auch dort gewesen wäre? Ich wollte einer von ihnen sein, ich
war einer von ihnen - aber würden sie das wissen? Würde er das wissen? Was würde er sagen?
I read a biography of the Prophet, a wonderful translation of a book by Fethullah Gülen, and for the first time since my becoming a Muslim I started to feel love for this person that the Prophet must have been. I had never seen him this way. I had come to love God, yes - but in the first time of my being a Muslim, I did not feel this way for the Prophet. Who was he? An Arab man who had lived hundreds of years ago - surely someone who was extraordinarily important for this religion - but someone I loved? No. This book changed the way I looked at the Prophet, I could see him and his companions more clearly now, walking the streets of Madinah - and I asked myself: What if I had been there? I wanted to be one of them, I was one of them - but would they know? Would he know? What would he have said?
Ich hasste es, wie viele Männer auf eine junge Frau reagierten, die sie schön fanden. Ich hasste das Flirten, die schmierigen Komplimente; ich hasste es, wie einigen ganz besonders viel Aufmerksamkeit gegeben wurde und wie sich das für andere anfühlen musste. Ich hasste es, wieviele Vorteile man im Leben haben konnte - nur wegen seines Aussehens. Ich hasste es, wie türkische Männer mittleren Alters, die ihre Frauen dutzende schwere Einkaufstüten tragen ließen, mich ansahen. Ich wollte etwas nach ihnen werfen und sie anschreien. Und dann zu ihren Frauen gehen und sie umarmen.
I hated how many men reacted to a young woman they considered beautiful. I hated the flirting, the cheesy compliments; I hated how some would be given special attention and how this must have made others feel. I hated how many advantages someone could have in life - just because of the way they looked. I hated how middle-aged Turkish men who made their wives carry dozens of heavy bags full of groceries looked at me. I wanted to throw something at these men and shout at them. And then go and hug their wives.
Ich wollte mit dem alles nichts zu tun haben. Ich wusste aber auch, dass ich nicht die Welt verändern konnte. Ich konnte nicht andere ändern, aber ich konnte ändern, wie sie mich sahen, wie sie auf mich reagierten. Ich wusste, ich würde sofort aus dem Spiel draußen seien, wenn ich begänne, Hijab zu tragen. Wer würde sich schon für eine Kopftuchtürkin interessieren?
I did not want to have anything to do with all this. I also knew I would not be able to change the world. I could not change others but I could change how they saw me, how they reacted to me. I knew I would be out of the game immediately if I chose to wear hijab. Who would possibly be interested in a "headscarf Turk"?
Ich wusste, es würde nicht einfach sein, in Deutschland Hijab zu tragen. Ich dachte an all die Dinge, die ich noch erreichen wollte - und ich wusste, dass mir eine Menge Türen vor der Nase zugeschlagen würden, wenn ich tatsächlich begänne, Hijab zu tragen. Ich dachte eine ganze Weile darüber nach und kam zu dem Schluss, dass es nichts zur Sache tat - weil wenn mich jemand wegen meinem Hijab, zum Beispiel, nicht einstellen wollte - wollte ich dann überhaupt für sie arbeiten? Wollte ich mich wirklich in solche eine Situation bringen, mit Leuten arbeiten, die die grundlegenden Prinzipien von Toleranz und Respekt nicht lebten? Wenigstens würde ich mit Hijab ziemlich schnell wissen, wer wie drauf war.
I knew it would not be easy to wear hijab in Germany. I thought of all the things I still wanted to achieve and I knew I would have a lot of doors closed in my face if I was to wear hijab. I thought about it for quite some time and came to the conclusion that it did not matter - because if someone would, for example, not want to employ me because of my hijab - did I
actually want to work for them? Did I want to put myself into such an
environment, working with people who have not learnt the most basic
lessons of tolerance and respect? At least wearing hijab I would rather
quickly know who was how.
Ich dachte auch an Dinge, die ich mit Hijab nicht mehr tun würden könnte; ob ich bereit war, sie aufzugeben; wie sehr ich sie vermissen würde. Ich ging sie alle durch, eins nach dem anderen, und versuchte, mir mich in dieser Situation vorzustellen - und wie es sein würde, dort nicht mehr hinzugehen, das nicht mehr zu tun. Das Gleiche tat ich mit allen Leuten, die ich kannte. Ich wusste, einigen von ihnen würde es egal sein, ob ich Hijab tragen würde oder nicht - und dann gab es da die, bei denen es mir egal war, wie sie reagieren würden. Aber es gab auch die, die mir wichtig waren und von denen ich dachte, dass sie nicht verstehen würden oder, schlimmer noch, der Sache ablehnend gegenüber stehen würden. Also stellte ich mir auch hier jeden von ihnen vor, wie es sein würde, sie zu sehen, wie sie wohl reagieren würden - und kam, wieder, zu dem Schluss, dass es ok sein würde.
I also thought of
things I would not be able to do any more with hijab, if I was ready to
give them up, how hard I would miss them. I went through all of them one
by one, tried to imagine myself in that situation and how it would be
not being able to go there, to do that any more. I did the same with all the persons I knew. I knew some of them would not care if I wore hijab or not - and then there were those where I did not care how they would react. But there were also those whom I cared about and who, I thought, would not understand or, even worse, disapprove. So I thought of each one of them, how it would be to see them, how they could possibly react - and again I came to the conclusion that it was going to be ok.
Während dieser Zeit, die ich in [immer noch vollkommen egal, in welchem Land in Südosteuropa] verbrachte, reiste ich zweimal in die Türkei, nach Istanbul, und ich erinnere mich noch, wie wunderschön ich viele der jungen Türkinnen mit Kopftuch dort fand. Sie waren jung, europäisch, trugen Hijab und sahen einfach so wunderschön aus. Eines Tages, nach einem Besuch in einer der vielen Moscheen, die wir während unserer Reise sahen, ließ ich einfach das Kopftuch für den Rest des Tages an. Und fühlte mich großartig. Ich wusste, es würde sehr schwierig sein, zu beginnen Hijab zu tragen, während ich noch für die NGO in [Land in Südosteuropa] arbeitete. Ich wollte ihnen keine Probleme bereiten (mit denen sie konfrontiert wären, wenn plötzlich eine ihrer Mitarbeiterinnen begonnen hätte, Hijab zu tragen), also wartete ich, sehnte mich nach dem Tag, an dem ich wieder in Deutschland sein würde.
During that time that I spent in [still not important which country in South Eastern Europe], I went to Turkey twice, to Istanbul, and I still remember how beautiful I found many of the young Turkish women wearing hijab. They were young, European, wore hijab and looked so beautiful. One day, after a visit to one of the many mosques we saw during that trip, I just left the head scarf on for the rest of the day. And felt great. I knew it would be really difficult to start and wear hijab while I still worked for that NGO in [country in South Eastern Europe]. I did not want to create any problems for them (which they would have been confronted with, had one of their staff members all of a sudden started to wear hijab), so I waited, longed for the day I would return to Germany.
Ich ging nicht direkt wieder zurück nach Deutschland, sondern machte unterwegs Halt in Bosnien. Ich verbrachte einige Tage in Sarajevo und was ich in dieser Zeit erlebte, ermutigte mich noch mehr. Bisher war Islam irgendwie doch etwas Fremdes geblieben. In Deutschland kannte ich türkische und arabische Muslime, aber hier sah ich zum ersten Mal Leute, die so aussahen wie ich - und Muslime waren. Ich sah blonde Muhammads, helläugige Eminas und all diese wunderschönen jungen Frauen, die schöne, bunte Kopftücher in den Straßen von Sarajevo trugen. Ich wusste, ich konnte ich selbst und Muslimin sein und Hijab tragen.
I did not go back to Germany directly, but went there via Bosnia. I stayed in Sarajevo for a couple of days and what I experienced during that stay encouraged me even more. So far, in a way Islam had always remained something foreign to me. In Germany, I knew Turkish and Arab Muslims, but here, for the first time, I saw people who looked like me - but were Muslims. I saw blond Muhammads, light-eyed Eminas and all these beautiful young women wearing pretty, colourful hijabs in the streets of Sarajevo. I knew I could be me and be a Muslim and wear hijab.
Ich kam wieder nach Hause, sah in meiner Heimatstadt alle meine Freunde und Familie wieder, und als ich weiterfuhr in die Stadt, in der ich in den nächsten Jahren leben würde, trug ich Hijab. Vor zehn Jahren.
I arrived in my home town in Germany, saw all my friends and family again, and when I left for the city I was going to live in for the next years, I wore hijab. Ten years ago.
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